Ein multidisziplinäres Schweizer Team erforschte die Zukunft der Stadt-Digitalisierung in ihren theoretischen, technischen und rechtlichen Dimensionen. Dazu modellierte es die Stadt Sion mit einem innovativen ScanVan.
Das ScanVan-Projekt, ein vierjähriges Vorhaben zur Entwicklung neuer Technologien für die Digitalisierung von Städten, hat im März 2021 seinen Höhepunkt erreicht. Nämlich in einer dreigliedrigen Schweizer Zusammenarbeit zwischen Forschern des Labors für digitale Geisteswissenschaften der EPFL, des Forschungsinstituts Systemtechnik der HES-SO Valais/Wallis und des Center for Information Technology, Society, and Law der Universität Zürich, gesponsort vom Nationalen Forschungsprogramm «Big Data» des SNF. Das Team führte das Projekt von der theoretischen Konzeption über die praktische Umsetzung bis hin zur Erforschung zukünftiger sozialer und kommerzieller Anwendungen gemeinsam durch.
Das Projekt ScanVan hilft, eine wichtige neue Grenze in der Informations- und Kommunikationstechnologie zu erweitern: die Erstellung von 3D-Stadtmodellen. Die meisten existierenden Scansysteme verwenden entweder expansive laserbasierte Systeme oder photogrammetrische Ansätze. Diese basieren auf Standard-Fotokameras, die nicht fehlerfrei funktionieren und daher mehrere Scanrunden erfordern. Das ScanVan-Team entwickelte ein omnidirektionales sphärisches Erfassungssystem in Verbindung mit einem speziellen Algorithmus, der eine hohe Scan- und photogrammetrische Rechenleistung garantiert. Das auf einem fahrenden Fahrzeug (dem ScanVan) montierte System erzeugt in regelmässigen Abständen sphärische Bilder. In der Praxis muss der ScanVan nur einmal durch eine bestimmte Strasse fahren, um genügend Bildmaterial für eine dreidimensionale Wiedergabe zu sammeln. Nils Hamel erklärte die Logik hinter der Kamera:
«Das Ziel ist es, die Vorteile eines Gerätes zu nutzen, das in der Lage ist, die gesamte Umgebung zu sehen, um jeden Aspekt der Szene in einer einzigen Aufnahme zu erfassen. Eine solche Strategie verringert das Problem der Bildkonnektivität erheblich, da Aufnahmen, die nahe beieinander gemacht werden, in jeder Situation eine grosse Überlappung garantieren. Das Konnektivitätsdiagramm hinter der Bildaufnahme wird daher vereinfacht, was zu einer viel einfacheren Erfassungskampagne führt und die Photogrammetrie näher an eine reale und hochmoderne Technologie für kontinuierliche 3D- und 4D-Kartierungen bringt.»
Mit diesen Fortschritten ist es denkbar, eine ganze Stadt in regelmässigen Abständen zu scannen und so eine 4D-Darstellung der Stadt (3D + Zeit) zu erstellen. Das ScanVan-Team testete diese Technologie, indem es mit einem Prototyp des Fahrzeugs ein vollständig der Stadt Sitten entsprechendes Modell erstellte. Das EPFL-Team legte den Fokus auf ersten theoretischen und rechnerischen Modellen. Das Team der HES-SO Valais/Wallis unter der Leitung von Pierre-André Mudry war für die Konstruktion der innovativen Kugelkamera verantwortlich und stattete das Fahrzeug mit der entsprechenden Hard- und Software für die Datenverarbeitung aus. Mudrys Gedanken zur Entwicklung der ScanVan-Technologie:
«Die Überbrückung der Kluft zwischen Theorie und Praxis erforderte eine integrative Methodik, bei der die angewandten Ingenieurfähigkeiten unseres Instituts die an der EPFL entwickelten Techniken ergänzen konnten. In diesem Projekt konnten wir in vielen Fällen zeigen, wie eine erfolgreiche Synergie zwischen Grundlagen- und angewandten Wissenschaften von Vorteil sein kann, zum Beispiel mit einem mathematisch definierten Spiegel, der unter realen Bedingungen gebaut und mit seinem Erfassungssystem erfolgreich in ein fahrendes Fahrzeug integriert werden konnte.»
Im Jahr 2020 schloss sich die Universität Zürich dem Projekt an, um an den potenziellen Datenschutzproblemen zu arbeiten, die mit der Entwicklung von hochauflösenden 3D-Modellen einhergehen. Florent Thouvenin und sein Team analysierten, wie die ScanVan-Erfassungstechniken mit den Schweizer Gesetzen zum Schutz personenbezogener Daten in Einklang gebracht werden können. Beim Aufbau der Prozesspipeline und der Explorationsschnittstellen kam ein «Privacy-by-Design»-Ansatz zum Einsatz. Dazu gehören automatische algorithmische Prozesse, um identifizierbare Informationen über Personen und Fahrzeuge zu verwischen, sowie eine zusätzliche Ebene menschlicher Kontrolle zur Förderung der öffentlichen Transparenz. Thouvenin beschrieb, auf welche Weise sein Team an der praktischen Umsetzung des ScanVan beteiligt war:
«Die Erzeugung von 3D-Stadtmodellen aus sphärischen Bildern ist ein sehr interessanter technischer Ansatz. Das Sammeln von Daten im öffentlichen Raum mittels Kameras führt jedoch dazu, dass zufällige Personen auf den Bildern abgebildet sind. Dabei sind verschiedene gesetzliche Bestimmungen, insbesondere im Bereich des Datenschutzes, zu beachten. Die Einhaltung dieser Gesetze kann durch die Beachtung des «Privacy-by-Design»-Ansatzes in einem frühen Entwicklungsstadium stark vereinfacht werden. Mit diesem Ansatz haben wir die Technologie bezüglich des Schweizer und EU-Datenschutzrechts analysiert und im Laufe des Projekts Designüberlegungen und Handlungsempfehlungen zur Überwindung der identifizierten rechtlichen Probleme angeboten.»
Obwohl sich der ScanVan noch in der Prototypenphase befindet, hat er Auswirkungen auf den zukünftigen kommerziellen Einsatz und die Steuerung von Diensten, die von der Digitalisierung der Städte abhängen, wie z.B. Programme für selbstfahrende Autos: eine Verbindung, die mit Hilfe des Mobility Lab Sitten Wallis weiter erforscht werden kann. Der ScanVan ist ein relativ kompaktes und skalierbares System. Das eröffnet Möglichkeiten für Lokalregierungen und Unternehmen, eine grössere Datenautonomie gegenüber den derzeitigen Schwergewichten der Stadt-Digitalisierung wie Google zu erzielen. Dadurch könnten auch Entscheidungen über die Privatsphäre des Einzelnen auf eine stärker lokale und öffentlich verantwortliche Weise verwaltet werden. Für Frédéric Kaplan, Leiter des Labors für digitale Geisteswissenschaften der EPFL, stehen die meisten Städte heute an einem Scheideweg:
«In naher Zukunft wird es eine grosse Kluft geben zwischen Städten, die autonom regelmässig aktualisierte digitale Zwillinge verwalten, und solchen, die sich noch auf alte geografische Informationssysteme verlassen. Erstere werden einen Entwicklungspfad einschlagen, der auf sich selbst optimierenden Informationssystemen basiert, die für unzählige neue Dienste genutzt werden können. Dank ihres 4D-Modells werden diese Städte in der Lage sein, Augmented-Reality-Schnittstellen, selbstoptimierende Logistik und zusätzliche autonome Fahrzeuge einzusetzen, die wiederum noch präzisere Echtzeit-Darstellungen erzeugen werden. Sie werden ihre Vergangenheit kontinuierlich mit ihrer Zukunft verbinden. Die anderen bleiben in einem statischen Verständnis des Stadtraums aus dem letzten Jahrhundert stecken.»
Quelle EPFL, 23.4.2021
Mehr Infos:
http://www.nfp75.ch/en/projects/module-1-information-technology/project-kaplan