Zusammenarbeiten im Lockdown: Kreativ trotz Krise

Von Benjamin Fischer.

Gemeinsam einen Song schreiben, einen Werbetext oder ein Produkt entwerfen – im Lockdown kann das schwierig sein. Wie gelingt kreative Team-Arbeit auf Abstand?

Zwei Monate hat Jintae Ko zu Beginn der Pandemie seine Studioräumlichkeiten noch behalten. Dann tat der Songwriter und Produzent es vielen Kollegen gleich, kündigte den Mietvertrag und holte sein Equipment zu sich nach Hause. „Ich konnte ja nicht mehr mit anderen vor Ort arbeiten, und bloß für Zoom-Sessions lohnt sich ein aufwendig eingerichtetes Studio nicht,“, erzählt der 33-Jährige aus Los Angeles.

Songwriter, egal ob auch als Interpret oder nur im Hintergrund tätig, arbeiten oft im Team. Ko hat beispielsweise den One-Republic-Song „Somebody to love“ mitgeschrieben und war als Koproduzent am Grammy-prämierten Album „Help“ der Gospel-Sängerin Erica Campbell beteiligt. Das Hin- und Herschicken von Musik-Schnipseln und zu Hause an Ideen tüfteln war schon vor der Krise normal, komplett digital zu arbeiten aber war Neuland für Ko – erst recht in Songwriting-Camps, die mit einem Mal auch auf Bildschirm-Kacheln verlegt wurden.

Vor einer ähnlichen Herausforderung standen und stehen viele Berufstätige verschiedenster Branchen: Wie kann kreative Arbeit an Musik, Texten, Kampagnen oder neuen Produkten funktionieren, wenn sie größtenteils ohne direkten persönlichen Austausch stattfinden muss?

Essentiell ist natürlich eine stabile Internetverbindung. Je nach fachlichem Bedarf wird es aber schnell komplizierter. „Nach dem letzten normalen Songwriting-Camp im März 2020 war die größte Herausforderung, die einzelnen technischen Bausteine zusammenzufügen“, sagt Christian Baierle, Chef des Indie-Musikverlags Roba, an dessen Camps auch Ko teilnimmt. Vor der Krise habe man digital nur einzelne Sessions mit zwei oder drei Personen abgehalten. Nun treffen sich bis zu 50 Künstler vor dem Bildschirm.

Video- schlägt grundsätzlich Telefonkonferenz

„Vor 10 Jahren wären die Server damit nicht zurechtgekommen“, sagt Baierle, „zum Glück ist mittlerweile alles in der Cloud, und die Video-Tools sind auf einem ganz anderen Niveau.“ Wichtig sei auch, dass einzelne Teams sich zum Arbeiten in „Breakout-Rooms“ zurückziehen könnten. Für eine möglichst gute Soundqualität beim Austausch einzelner Parts nutzt Roba zudem eine eigens angeschaffte Software. „Es geht neben der Qualität auch darum, Verzögerungen zu vermeiden, die auftreten können, wenn man bloß seinen Bildschirm teilt“, erklärt Baierle.

Das weiß jeder, der schon mal versucht hat, in einer Videokonferenz gemeinsam mit anderen „Happy Birthday“ zu singen. Die Tools zum Aufnehmen und Produzieren sind indes längst breit verfügbar und deutlich günstiger als früher. Die hohe Kunst besteht weiter darin, mit den vorhandenen Mitteln etwas Besonderes zu schaffen – ob aus dem heimischen Schlafzimmer wie Billie Eilish und ihr Bruder Finneas oder im opulenten Studio mit großer Historie und vielen Aufnahmeräumen.

Video: 4:58 min – Art Directors Club of Europe

„Der Durchschnittskreative ist meistens ein extrovertierter Mensch“

Fürs mobile Arbeiten ausgestattet waren die meisten Beschäftigten ohnehin. In der täglichen Arbeit nutzt Jung von Matt nun wie auch viele andere digitale Whiteboards, um die Teamdynamik möglichst aufrechtzuerhalten, erklärt Spengler-Ahrens: „Der Durchschnittskreative ist meistens ein extrovertierter Mensch, der im persönlichen Zusammensein mit anderen Inspiration findet. Reibung und insbesondere Chemie sind entscheidend für den kreativen Prozess, das lässt sich mal mehr, mal weniger gut ins Digitale verlagern.“

Gerade solchen Menschen fehlten oft besonders die Eindrücke von Veranstaltungen oder Treffen, sagt auch Yvonne Görlich, Professorin für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie an der privaten Hochschule Göttingen. Eine Videokonferenz sei dabei definitiv die beste Alternative zu einem persönlichen Treffen, unterstreicht sie. „Wer lieber in Ruhe für sich arbeitet und in Konferenzen mit sehr präsenten Personen mit seinen Ideen nicht zum Zug kommt oder sich schnell unsicher fühlt, für den ist die Krise womöglich eine Chance“, so Görlich.

Hier spielen freilich viele Faktoren eine Rolle, etwa wie gut ein Arbeitnehmer mit der teils ungewohnten Technik umgehen kann, ob im Homeoffice konzentriertes Arbeiten möglich ist oder schlichtweg, wie schwer einen Folgen der Krise persönlich treffen und belasten. Grundsätzlich wichtig für die Kreativität seien „Autonomie, Zeit zum Nachdenken, herausfordernde Tätigkeiten und die Unterstützung durch Vorgesetzte und die Organisation“, konstatiert Görlich.

In einer von ihr geleiteten, noch unveröffentlichten Studie wurden mehr als 800 Personen – etwa die Hälfte darunter berufstätig und rund ein Drittel Studierende – zur Auswirkung der Corona-Krise auf ihre Kreativität befragt. Im Mittel schätzten sich diese überraschenderweise sogar als etwas kreativer ein, wobei knapp die Hälfte keine Auswirkungen wahrnahm.

„Digitale Möglichkeiten sind gut für gerichtete Kreativitätsprozesse“

Video: 1:58 min – Avid Powering Greater Creators

„Am Anfang war es definitiv knifflig“, blickt Jintae Ko zurück: „Drei, vier Sessions hat es schon gedauert, bis sich alles eingespielt und jeder den für sich passenden Ansatz gefunden hatte.“ Wenn man sich noch nicht so gut kennt, müssen zu Beginn manche Grundfragen besprochen werden, erklärt er: „Ich schreibe gerne zunächst von einem melodischen Standpunkt aus, und wenn ich die Melodien habe, suche ich ein Grundgerüst für die Struktur – andere wollen aber vielleicht lieber mit dem Text anfangen.“ Gemeinsam in einem Raum sei das natürlich einfacher zu klären als per Video, wo auch mal die Technik hake.

Aber das dürfe für Profis keine Ausrede sein, sagt Ko, und die neue Form der Arbeit habe ja auch ihre Vorzüge: „Da aktuell alle mehr oder weniger auf Zoom und Co angewiesen sind, habe ich viele neue Leute aus verschiedensten Erdteilen kennengelernt und mit ihnen einige großartige Sachen gemacht.“ Auch das Kontakthalten mit internationalen Kollegen und die Arbeitsbeziehung zu pflegen sei gerade viel einfacher, da kaum jemand unterwegs ist. „Ohne die Pandemie hätte ich zum Beispiel kaum so viel mit Iselin Solheim zusammengearbeitet“, sagt er.

Kennengelernt haben sie sich in Kalifornien, aber nun seien die Norwegerin und er viel vertrauter und ehrlicher zueinander. „Eine Basis zu haben, wo keiner Angst hat, den anderen vor den Kopf zu stoßen, ist unheimlich wichtig, um gute Songs zu schreiben“, betont Ko. Auch Verlags-Chef Baierle ist glücklich, dass die digitalen Camps funktionieren, wobei er anmerkt: „Diese besonderen Ideen, die durch Zufall entstehen, wenn Künstler beispielsweise noch zusammen außerhalb einer festgelegten Session Musik spielen oder gemeinsam etwas essen gehen, sind digital natürlich schwieriger umzusetzen.“

Wie Architektur Kreativität anregen & Innovationen erleichtern soll

Dieser Aspekt beschäftigt auch Frank Piller, Professor für Management an der RWTH Aachen und einer der Leiter des Instituts für Technologie- und Innovationsmanagement. „Die digitalen Möglichkeiten sind gut für gerichtete Kreativitätsprozesse mit klarem Ziel“, sagt Piller. Bisweilen funktioniere die Arbeit hier sogar besser, da die Teilhabe einfacher möglich sei und etwa jeder das Flipchart gut lesen könne. Auch Kreativitätsmethoden ließen sich in Video-Konferenzen gut anwenden.

Mit der „Walt-Disney-Methode“ beispielsweise sollen Gruppendruck und Denkblockaden aufgelöst werden, erklärt Yvonne Görlich. Unter den Teilnehmern werden hierbei Rollen verteilt. Einer ist der auf Umsetzung fokussierte Realist, einer der Kritiker und einer der Träumer, der ständig neue Ideen aufwirft. Die Zuweisung kann bewusst nicht zum eigentlichen Charakter passen, um persönliche Eitelkeiten aus dem Weg zu räumen. Allein das Ausprobieren solcher Methoden aktiviere Leute oftmals schon, sagt die Psychologie-Professorin: „Positiv daran ist zudem, dass sie thematisch fokussieren und Struktur geben.“

Viele Ideen für Innovationen entstehen allerdings oftmals am Rande eines Meetings, in der Pause einer Konferenz oder durchs bloße Mithören eines Gesprächs, sagt Frank Piller: „Diese Art der informellen Kommunikation fällt derzeit flach.“ Um in normalen Zeiten den Austausch unter den Mitarbeitern anzuregen, lässt sich auch die Architektur einsetzen, erklärt er. Das neue Forschungs- und Innovationszentrum von BMW beispielsweise ist ganz bewusst mit vielen offenen Flächen und Sitzgruppen für spontane Treffen konzipiert worden. Steve Jobs wollte bei Pixar gar nur einen einzigen Toilettenraum in der neuen Zentrale einbauen lassen. Da jeder mal zur Toilette muss, sollten sich die Beschäftigten so zwangsläufig oft über den Weg laufen.

Eine am MIT entwickelte Software versucht, die fehlenden Zufallstreffen ein Stück weit zu kompensieren. Auf der digitalen Plattform Minglr markieren die Nutzer Kollegen, mit denen sie gern einfach mal sprechen würden. Zwischen zweien, die sich gegenseitig angekreuzt haben, wird dann spontan eine Telefonkonferenz angelegt – immerhin ein wenig Zufall, wenn man so will. Aus Pillers Sicht können solche Tools zwar ebenso wie soziale Medien überraschende Impulse liefern. Das Gleiche, wie wenn man zufällig etwas in der Kantine aufschnappt und daraus eine zündende Idee entwickelt, sei es aber nicht.

Digitale Kaffeetreffen & die Grenzen von Zoom und Co

Für Kreative kommt bisweilen noch ein Mangel an Inspiration hinzu. „Im Moment leben wir von einem Depot an Erfahrungen und Erlebnissen aus der Zeit vor der Pandemie“, sagt Jung-von-Matt-Chefin Spengler-Ahrens. Die Reduktion aufs rein Faktische, wie sie es ausdrückt, sei zudem ein Problem. Innerhalb von Teams wird vielfach versucht, gegenzusteuern:

„Morgens vielleicht digital zusammen Kaffee trinken und über persönliche oder zumindest nicht arbeitsbezogene Dinge zu sprechen ist enorm wichtig für die soziale Gemeinschaft und auch für die Kreativität eines Teams“, sagt sie. Wenn man einander aber überhaupt erst einmal kennenlernen muss, werde es digital schwierig: „Gerade bei Pitches ist der Wunsch sehr groß, nach Möglichkeit ein persönliches Treffen zu organisieren, um auch ein gutes Gefühl für die Chemie untereinander zu bekommen.“

Während Jintae Ko das digitale Songwriting recht positiv erlebt, sieht auch er die Grenzen. „Wenn ich direkt mit einem Interpreten zusammenarbeite, um ihn längerfristig zu begleiten, geht es vor allem um Vertrauen“, sagt Ko, „da ist es wichtig, einfach Zeit miteinander zu verbringen, Dinge zu erleben und über alles Mögliche zu reden.“ Manche persönlichen Erfahrungen teile man nun mal wohl kaum über Zoom. Mit dem Sänger Ricky Garcia hat Ko schon vor der Krise gearbeitet und währenddessen weitergemacht.

Eine erste Single ist gerade erschienen. Ansonsten biete er eigene Songs an und sitze an Material für verschiedene Künstler. Einmal im Monat versuche er an einem Camp teilzunehmen – „primär, um neue Leute zu treffen, mit denen ich im Idealfall auch darüber hinaus noch an Songs schreibe“. Für ihn ist klar, die digitale Arbeit verschwindet nicht wieder, schon allein aus Kostengründen. Nach der Krise will er sich trotzdem sehr wahrscheinlich wieder in einem Studio einrichten: „Zoom ist großartig, aber es hat einfach etwas Besonderes, gemeinsam Ideen direkt und mühelos auszuprobieren.“