Digitaler Fahrwerkszwilling im Porsche Digital Lab

Foto: © 2021 Porsche Digital

Mit jeder neuen Porsche-Generation steigt die Leistungsfähigkeit von integrierter Sensorik, Vernetzung und Datenverarbeitung. Dadurch eröffnen sich immer neue Möglichkeiten für die effektive Nutzung dieser Informationen. Eine davon ist der sogenannte Digital Twin.

Er bildet die virtuelle Kopie eines existierenden Gegenstücks und ermöglicht datengetriebene Analyse, Überwachung und Diagnose – ganz ohne die Aufwände und Zwänge der realen Welt. Der digitale Zwilling eines Fahrzeugs besteht nicht nur aus den gesammelten Betriebsdaten, sondern auch aus deren Konsequenzen: Informationen, die bei planmäßigen Wartungsaufenthalten und unplanmäßigen Reparaturen gesammelt werden. Bestandteile dieses Digital Twins existieren damit bereits heute im Speicher von Steuergeräten und in den Datenbanken der Porsche-Zentren.

Zentrale Intelligenz für Daten

Die besonders beanspruchten Fahrwerkslager eines Sportwagens, der häufig auf der Rundstrecke unterwegs ist, würden auf diese Weise gezielt gewechselt können. Bei einem Langstreckenfahrzeug, das sich vorwiegend auf Autobahnen bewegt, stünde hingegen der Motor im Fokus. Noch wichtiger: Auf die gleiche Weise können auch Bauteilverschleiß oder sogar mögliche Ausfälle berechnet werden, noch bevor sie tatsächlich eintreten – ein erheblicher Sicherheitsgewinn.
Seit rund drei Jahren arbeiten Software-Spezialisten von Porsche am Konzept eines digitalen Zwillings mit dem Schwerpunkt Fahrwerk, einem sogenannten Chassis Twin. Mittlerweile wird dieses Projekt im Rahmen von CARIAD weitergeführt, dem eigenständigen Automotive Software Unternehmen im Volkswagen Konzern. Das hat den Vorteil, dass nicht nur Daten von Porsche-Fahrzeugen herangezogen werden können, sondern von allen Konzernmarken – was den Pool auf die bis zu 20-fache Menge an Autos vergrößert.

Grosse Bedeutung des Chassis

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Die Fokussierung auf Fahrwerkkomponenten liegt auf der Hand: Bei einem Porsche ist das Chassis den höchsten Belastungen ausgesetzt, insbesondere im Rundstreckenbetrieb. Durch Sensorik im Fahrzeug und die Nutzung intelligenter, selbstlernender Algorithmen bei der zentralen Auswertung werden Beanspruchungen unmittelbar im Fahrzeug erkannt und an den Fahrer übermittelt. Damit erhöht sich die Insassensicherheit, da gewisse Störungen direkt auffallen, noch bevor der Fahrzeugnutzer oder die Werkstatt einen Fehler beispielsweise durch Geräusche oder Vibrationen erkennt.

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Philip Müller, Executive Assistant to Director of Chassis & Special Projects bei CARIAD

Eine erste Anwendung des Digital Chassis befindet sich bereits in der praktischen Erprobung. Bei der überwachten Komponente handelt es sich konkret um die Luftfederung des Porsche Taycan. In dem Pilotprojekt, an dem rund jeder zweite Taycan-Kunde teilnimmt, werden zunächst hauptsächlich die Daten der Aufbaubeschleunigung erfasst, ausgewertet und via Porsche Connect an das zentrale Backend übertragen. Dieses vergleicht die Werte des individuellen Wagens permanent mit den Flottendaten. Daraus errechnet der Algorithmus Schwellwerte. Werden diese überschritten, erhält der Kunde über das PCM eine Information, er möge sein Fahrwerk im Porsche-Zentrum überprüfen lassen. Damit wird nicht nur das Überschreiten der Verschleißgrenze vermieden, durch die frühzeitige Reparatur können auch Folgeschäden verhindert werden.

Künstliche Intelligenz und Datenschutz

Durch die künstlichen Intelligenzen im Fahrzeug und in der Datenzentrale werden die Schadensmöglichkeiten sowie die Genauigkeit der Algorithmen stetig verbessert. Da sowohl in der Test- als auch in der Serienphase der Datenschutz über allem steht, werden die Kunden per PCM um ihr Einverständnis für die Übermittlung der anonymisierten Daten gebeten. Rund jeder zweite Taycan-Kunde nimmt an diesem Pilotprojekt teil – eine sehr positive Resonanz für diese Anwendung des Digital Chassis.

Rolling Chassis des Taycan Turbo S

Während in der ersten Ausbaustufe des digitalen Zwillings, die im kommenden Jahr in Serie gehen wird, nur die unmittelbaren Sensordaten mechatronischer Komponenten ausgewertet werden, sind in Zukunft auch weitergehende Funktionen denkbar – etwa, dass auch ohne Messfühler an bestimmten Bauteilen deren Verschleiß berechnet werden kann. Ein Beispiel: Muss an mehreren Fahrzeugen die Spureinstellung korrigiert oder die Spurstange gewechselt werden und es wurden zuvor über mehrere Sensoren übereinstimmende Abweichungen festgestellt, kann dies als Hinweis auf ein Muster gewertet werden. Treten die entsprechenden Werte dann bei einem weiteren Fahrzeug auf, würde dem Fahrer folglich empfohlen, die Werkstatt aufzusuchen.
Durch diese frühzeitige Diagnose können Folgeschäden vermieden werden – in diesem konkreten Beispiel etwa abgefahrene Reifen durch eine verstellte Spur. Die Fehlersuche in der Werkstatt wird verkürzt, da gezielt fehlerhafte Komponenten ausgetauscht werden können. Dadurch verringern sich die Durchlaufzeiten in der Werkstatt und damit die Kosten für den Kunden. Der digitale Zwilling ermöglicht auch abseits des Fahrbetriebes Kundenvorteile: Die digitale Fahrzeugakte kann den Restwert des Fahrzeugs belegen und erhöht die Transparenz für Gebrauchtwagenkäufer und -verkäufer. Durch die lückenlose Dokumentation der Bauteile wäre zudem eine erweiterte Approved-Garantie durch den Hersteller denkbar, ja sogar eine Zertifizierung mit einer Preisempfehlung für den Wiederverkauf.

Porsche Digital Lab

Das Lab bildet eine Plattform für die Kooperation mit Technologie-Unternehmen, Start-ups und Wissenschaft. Partner ist die Porsche-Tochterfirma MHP – das Ludwigsburger Unternehmen gehört in der Automobilindustrie zu den führenden Management- und IT-Beratungen weltweit.

„Hintergrund unserer Initiative ist der tiefgreifende Wandel der Branche. Die digitale Transformation erfasst alle Bereiche des Unternehmens – interne Prozesse, die Kundeninteraktion sowie unsere Produkte und Services. Die zunehmende Vernetzung der Fahrzeuge sowie veränderte Mobilitätskonzepte führen zu einem massiven Umbruch in der Automobilindustrie und rufen neue Wettbewerber auf den Plan. In diesem Umfeld will sich Porsche zur innovativsten Marke für exklusive und sportliche Mobilität entwickeln“, sagt Lutz Meschke, stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Vorstand Finanzen und IT.

Ziel ist es, vernetzt zu denken

Im Porsche Digital Lab im Berliner Stadtteil Friedrichshain beschäftigen sich mehrere Teams von Porsche und MHP mit der Frage, wie Innovationen aus den Bereichen Big Data & Machine Learning, Micro Services & Cloud Technologien sowie Industrie 4.0 & Internet of Things in die Praxis von Porsche übertragen werden können. Aktuell hat das Lab 12 Mitarbeiter, das Labor ist aber auf Wachstum ausgelegt. Die Aufgaben reichen von Trend Scouting über die Ideenfindung bis hin zum Bau von IT-Prototypen und -Komponenten. „Das Porsche Digital Lab gibt uns die Möglichkeit, flexibel und schnell mit neuen Technologien zu experimentieren und IT-Innovationen in die Praxis zu überführen“, sagt Dr. Sven Lorenz, Leiter Porsche Informationssysteme.

Die Arbeit erfordert Kreativität und Kontakt zu innovativen Technologie-Unternehmen. Der Standort Berlin mit seiner florierenden Start-up-Szene bietet dafür die besten Voraussetzungen. „Berlin hat zwei wesentliche Vorteile: Hier kommen wir mit den relevanten Köpfen in Kontakt und können ohne Ablenkung durch das Tagesgeschäft arbeiten“, erklärt Boris Behringer, Leiter Porsche Digital Lab. Der 42-Jährige hat 15 Jahre lang in unterschiedlichen Abteilungen von Porsche Erfahrungen gesammelt. Seine Vielseitigkeit steht für die Philosophie des Projekts: Ziel ist es, vernetzt zu denken. So können möglichst viele Bereiche bei Porsche von den Resultaten des Labors profitieren.

Link:
Link zu diesem Artikel https://newsroom.porsche.com/de/2021/innovation/porsche-digitaler-fahrwerkszwilling-26237.html

Fotos: Courtesy of Porsche Digital
Quelle: Porsche Digital, 4.11. 2021
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