Krankenhaus 3.0: Zertifikat für weltweit erstes Krankenhaus im Passivhaus-Standard

Der Neubau des varisano Klinikums Frankfurt Höchst ist erfolgreich im Passivhaus-Standard realisiert worden. Über 1600 Beschäftigte werden im neuen Gebäude tätig sein. © Klinikum Frankfurt Höchs

Krankenhaus 3.0: Vorbild in Frankfurt. Der Neubau des Klinikums Frankfurt Höchst ist im Passivhaus-Standard realisiert worden. Als weltweit erstes Krankenhaus hat das zum varisano-Verbund gehörende Klinikum nun das Passivhaus-Zertifikat erhalten. Nach der erfolgreichen Zertifizierung durch das Passivhaus Institutwurde das Zertifikat am Mittwoch (8.6.) von Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir in Frankfurt Höchst an die Klinikleitung übergeben.

Wirtschaftsminister: „Genau das brauchen wir“

Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir erklärte: „Die beste Energie ist die, die nicht verbraucht wird. Darum setzen wir auf die drei E: Energiesparen, Energieeffizienz und Erneuerbare ausbauen.“ Wie das konkret gehe, zeige das varisano Klinikum Frankfurt Höchst: „Hier wurde ein energetischer Standard realisiert, der weit über den gesetzlichen Anforderungen für Neubauten liegt. Dieser Krankenhausbau zeigt damit, wie Klimaschutz im Gebäudesektor gelingen kann. Genau das brauchen wir: Denn in Hessen entfällt ein Drittel des gesamten Endenergieverbrauchs auf Gebäude.“ Hier liege „ein entscheidender Hebel in der Energie- und Wärmewende“. Das Land Hessen habe „dieses Vorzeigebeispiel klimafreundlicher Neubauten gerne begleitet und gefördert“ – in der Hoffnung, „dass es viele zum Nachahmen motiviert.“ Die in der Stadt Frankfurt für Klima, Umwelt und Frauen zuständige Dezernentin, Rosemarie Heilig, sagte bei der Zertifikats-Übergabe in Höchst: „Kliniken brauchen viel Energie. Wir wollten in Frankfurt als erste Stadt beweisen, dass man ein zeitgemäßes Krankenhaus fast ohne fossile Rohstoffe beheizen und klimatisieren kann.“ Sie sei „sehr stolz, dass uns dieser Meilenstein gelungen ist, gerade jetzt, wo wir uns dringend aus der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl befreien müssen“. Hoffentlich werde das Klinikum Höchst „zum Leuchtturm für alle Krankenhäuser, die in Zukunft in Deutschland gebaut werden.“

varisano: Behaglichkeit kombiniert mit topmoderner Technik für Patient:innen

Wie Martin Menger, der Vorsitzende der Geschäftsführung der varisano-Klinikgruppe erläuterte, werden durch die optimierte Wärmedämmung und die etwa 1.000 dreifach-verglasten Fenster des Gebäudes große Unterschiede zwischen Oberflächen- und Raumtemperatur vermieden, was die Behaglichkeit in den Krankenzimmern steigern soll. Der Neubau schaffe insgesamt bessere Rahmenbedingungen für Patientinnen, Patienten und Beschäftigte: “Der Klinikneubau bringt ein völlig neues Krankenhausgefühl – nicht nur für die Patientinnen und Patienten: Wir bieten topmoderne Arbeitsplätze in Medizin und Pflege und deutlich größere Zimmer, deren Konzeption ein Vorbild für die ganze Branche sind.” Zudem gibt es im Klinikneubau sogenannte “Bedside-Terminals” an jedem Patientenbett: (Touchscreen-)Bildschirme, die sowohl die aktuellen Vitaldaten (Herzfrequenz etc.) und die Medikamentierung zeigen als auch für die Unterhaltung der Patientinnen und Patienten mit Fernsehen (“Mediaentertainment”) genutzt werden können.

Grundlagenstudie: Passivhaus-Kliniken könnten künftig Standard werden

Der Neubau des Klinikums Frankfurt Höchst war bereits während der Planungs- und Bauphase auf internationale Aufmerksamkeit gestoßen: Der Neubau zählt zu den modernsten Krankenhäusern. Auf sechs oberirdischen Geschossen finden sich 670 Betten und rund 40 tagesklinische Plätze. Das neue Krankenhaus umfasst zehn Operationssäle – darunter einen Hybrid-Operationssaal. Insgesamt hat das neue Gebäude eine Bruttogeschossfläche von mehr als 78.000 Quadratmetern. Das Passivhaus Institut hatte im Vorfeld im Auftrag des Landes Hessen eine Grundlagenstudie zur Umsetzung des Passivhaus-Konzepts in Krankenhäusern erarbeitet. Zudem begleitete das Forschungsinstitut den Neubau in der Planungs- sowie in der Bauphase.

Durch ihren intensiven 24-Stunden-Betrieb gehören Krankenhäuser zu den Spitzenverbrauchern an Energie: Von der Notaufnahme über die Operationssäle samt Intensivstation bis zu den Patientenzimmern sind zahlreiche technische Geräte im Einsatz. Der Passivhaus-Standard ist – neben verbessertem Komfort – darauf ausgelegt, den Bedarf an Energie deutlich zu reduzieren. Beim Komfort kommt der Passivhaus-Standard den Anforderungen eines Krankenhauses ebenfalls entgegen: In Krankenzimmern empfinden Patienten eine erhöhte Temperatur als angenehm. Aufgrund des guten Wärmeschutzes im Neubau des Klinikums Frankfurt Höchst können die höheren Raumtemperaturen mit geringerem Energiebedarf gedeckt werden.

Der Umzug in den Neubau des varisano-Klinikums Frankfurt Höchst soll im Spätherbst 2022 erfolgen. Die baurechtliche Abnahme des hochkomplexen Gebäudes hatte sich verzögert. Zwar sind die medizinischen Großgeräte bereits installiert und getestet – optisch ist das hochmoderne Klinikum im Grunde bezugsfertig.

Voraussetzung für eine Inbetriebnahme des Klinik-Neubaus ist jedoch, dass sämtliche Genehmigungen, Abnahmen durch Behörden sowie Sachverständige vorliegen. Dies ist dem Generalunternehmer nicht im angestrebten Zeitplan gelungen. Fachleute verweisen auf die enorme Komplexität der technischen Anlagen und die extrem hohen Sicherheitsanforderungen für ein großes Krankenhaus: Dessen komplexe und vielfältig vernetzte Technik könne kaum noch nachjustiert werden, wenn der Klinikbetrieb erst einmal aufgenommen ist.

Signifikante Bedarfsreduzierung aller Energieanwendungen

Statistische Auswertungen der Verbrauchswerte zeigen, dass Krankenhäuser zu den Spitzenverbrauchern gehören. Es werden mittlere Heizenergieverbrauchswerte von rund 250 kWh/(m² a) genannt, wobei dazu insbesondere der Strombedarf mit durchschnittlich 130 kWh/(m² a) sehr hoch ausfällt. Die individuellen Kennwerte hängen dabei stark von der Art und Ausstattung des Krankenhauses ab.

Die Anwendung von Effizienztechnologien bietet, wie Studien zeigen ein bedeutendes Einsparpotential

Im Krankenhäusern wächst der Kostendruck. Die Energiekosten belaufen sich auf etwa 3 % der Gesamtkosten [EA NRW 2003]. Spürbare Verbesserungen der Energieeffizienz machen den Betreiber unabhängiger von der zukünftigen Energiepreisentwicklung und senken zudem die laufenden Betriebskosten.

Die Anwendung des Passivhaus-Konzepts erscheint vor diesem Hintergrund äusserst interessant. Ein häufiger Irrtum besteht in der Annahme, die Energieeffizienzanstrengungen würden lediglich die Minimierung des Heizwärmebedarfs betreffen. Die Grundidee ist hingegen, bei mindestens gleichem Komfort, eine signifikante Bedarfsreduzierung aller Energieanwendungen in einem Gebäude zu erreichen.
Eine grundlegende Voraussetzung für die Umsetzung des Passivhaus-Standards ist, dass, im Unterschied zu konventionellen Energiebilanzverfahren, alle relevanten Energieverbräuche betrachtet werden. Gemäss [DIN V 18599] wird, z.B. im Bereich der Medizintechnik, der gesamte funktionsrelevante Stromverbrauch nicht berücksichtigt. Die bedeutenden Abhängigkeiten zwischen den Energieströmen im Gesamtsystem „Gebäude“ können so gar nicht erkannt werden.

Die Gesamtoptimierung zielt auf im Gesamtsystem wirtschaftliche und in der Breite einsetzbare Technologien ab. Es hat sich gezeigt, dass der spezifische Energiebedarf einer jeden Energiedienstleistung durch konsequentes Vermeiden und Reduzieren von Verlusten in den meisten Fällen auf sehr kleine Werte verringert werden kann.

Grundlagenstudie mit vielen Details

Die Grundlagenstudie des Passivhaus-Instituts zur Umsetzung des Passivhaus-Standards in Krankenhäusern steht mit vielen Details zur Ausführung hier gebührenfrei zur Verfügung:
https://passiv.de/downloads/05_krankenhaus_grundlagenstudie.pdf

Fotos und Abbildungen: Courtesy of Varisano
Quelle: Varisano, 8. Juni 2022
https://www.varisano.de/