Augmented Reality in der Stadtplanung – nicht nur visuell, sondern auch akustisch

AR Bahnhofstrasse Stadt Luzern, virtuelle Bäume und Sitzbänke

AR macht die Stadt- und Gemeindeplanung für die breite Bevölkerung zugänglicher. In einem Innosuisse-Projekt loten HSLU-Forschende gemeinsam mit der Stadt Luzern und den Unternehmen Planteam S AG und Sinus AG das Potenzial der Technologie aus. Erstmals spielt dabei auch die Akustik eine Rolle.

Wie fügt sich die geplante Wohnüberbauung ins Ortsbild ein? Versperrt die angedachte Sporthalle den Blick auf den See? Aus welchem Material besteht die neue Velostation? Laien fällt es schwer, sich anhand zweidimensionaler Pläne vorzustellen, wie künftige Bauprojekte dereinst aussehen werden.

«Der Abstraktionsgrad von Bauplänen ist sehr hoch», sagt Tobias Matter von der Hochschule Luzern. «Das führt dazu, dass sich die Leute oft schlecht informiert fühlen, nicht auf Augenhöhe mitwirken können und dann etwa Einsprachen erheben.»

Matter und sein interdisziplinäres Forschungsteam haben folgenden Lösungsansatz für das Problem entwickelt: Sie visualisieren die Pläne in Augmented Reality (AR). AR ergänzt die Realität um digitale Objekte. Diese werden auf den Bildschirmen von Tablets und Smartphones auf die Umgebung projiziert. «AR-Visualisierungen machen abstrakte Baupläne nachvollziehbar, weil sie Betrachterinnen und Betrachtern das Gefühl vermitteln, die digitalen Gebäude vor sich zu sehen und um sie herumgehen zu können», erläutert Tobias Matter. Die Bevölkerung werde so transparenter über anstehende Bauprojekte informiert und von Beginn an zur Mitwirkung motiviert.

Grosses Innosuisse-Forschungsprojekt gestartet

Die Forschenden haben die Erkenntnisse aus diversen Vorprojekten (siehe Kasten unten) nun zusammen mit Planteam S AG – das Planungsbüro verfügt über langjährige Erfahrung im Einsatz von 3D-Modellen in Raumentwicklung, Städtebau und Geoinformation – den Lärmschutzspezialisten der SINUS AG und der Stadt Luzern zu einem grossen Innosuisse-Projekt gebündelt. Die Agentur für Innovationsförderung des Bundes unterstützt dieses mit über 450’000 Franken. Das Gesamtbudget beträgt 840’000 Franken. Start des dreijährigen Unterfangens ist im September 2022.

Glarus Sportplatz AR

Das Projektteam soll dabei mehrere Bauprojekte in Augmented Reality begleiten; unter anderem die geplante Aufwertung der viel genutzten Tribschenstrasse in der Luzerner Innenstadt sowie die neue Fuss- und Velo-Querung über die Reuss beim Luzerner «Nordpol»-Areal. Letztlich soll auf Basis solcher Fallbeispiele ein modulares AR-Toolkit inklusive methodischer Leitfaden entstehen. Ziel ist, dass die Projektpartner sich aus diesem digitalen Werkzeugkasten die passende AR-Visualisierungs- und Interaktionsform aussuchen und an die Bedürfnisse ihres jeweiligen Bauprojekts anpassen können.

Weltpremiere: Die Akustik wird mitgedacht

Je nach Planungsphase kann es sich bei der AR-Version eines Bauwerks um eine simple Skizze oder um eine detaillierte Darstellung handeln. Neben der Form wird hierbei auch ein Eindruck der Farbe und der verwendeten Materialien geliefert. Sogar interaktive Elemente sind möglich, etwa digitale Bäume und Sitzgelegenheiten, die sich verschieben lassen, deren Form man verändern oder kommentieren kann.

Die Forschenden und die Projektpartner konzentrieren sich aber nicht nur aufs Visuelle, sondern kombinieren dieses auch mit der akustischen Ebene, wie Tobias Matter erläutert. So zeigt die AR-Anwendung auf dem Smartphone oder Tablet den Nutzerinnen und Nutzern einerseits, wie zum Beispiel eine geplante Lärmschutzmauer aussehen wird. Andererseits sie via Kopfhörer auch akustisch simulieren, wie die Mauer die Umgebung vor Lärm abschirmt.

Die Klangsimulation soll das Mittendrin-Gefühl für die Betrachterinnen und Betrachter noch verstärken.

«Falls uns die angedachte Umsetzung gelingt, wären wir meines Wissens weltweit das erste Forschungsteam, welche in der Raumplanung via Augmented Reality die akustische mit der visuellen Ebene verbindet»,

erläutert Tobias Matter.

«AR kann die Raumplanung demokratischer machen»

Das Team von HSLU-Forscher Tobias Matter vereint das Know-how aus der Forschungsgruppe Visual Narrative, die sich auf die Vermittlung von Inhalten in digitalen und mobilen Medien fokussiert, und vom Immersive Realities Research Lab. Das Lab erforscht Anwendungsmöglichkeiten von Augmented und Virtual Reality. Punktuell liefern zudem Forschende der HSLU-Departemente Technik & Architektur, Soziale Arbeit und Musik ihre Expertisen. Die Projekte werden vom Interdisziplinären Themencluster (ITC) «Raum und Gesellschaft» unterstützt, mit dem die HSLU das Fachwissen von Forschenden über die Departementsgrenzen hinweg bündelt.

Tobias Matter selbst forscht bereits seit Jahren an der Schnittstelle zwischen analog und digital. Er ist überzeugt, dass es ohne diesen inter- und transdisziplinären Ansatz nicht geht. «Bei raumplanerischen AR-Projekten ist es nicht das Ziel, hübsche digitale Umgebungen zu programmieren, sondern diese auch einem nicht technik-affinen Publikum zugänglich zu machen», erläutert er. «Augmented Reality kann so im besten Fall die gesamte Raumplanung demokratischer gestalten.»

AR in der Stadtplanung: Kurzfilm mit Tobias Matter

Augmented Reality (AR) eröffnet neue Möglichkeiten, die das Forschungsteam um Tobias Matter an der Hochschule Luzern untersucht und weiterentwickeln will. Die im Video vorgestellten Projekte mündeten im September 2022 in einem durch die Innosuisse geförderten Forschungsprojekt mit einer Laufzeit von rund drei Jahren.

AR-Visualisierungen stossen bei der Bevölkerung auf Interesse

Die HSLU hat bereits für diverse Bauprojekte in Städte und Gemeinden AR-Visualisierungen entwickelt, etwa in der Stadt Luzern für die Sanierung der Bahnhofstrasse, in Glarus für die Gestaltung eines Parks oder in Disentis im Kanton Graubünden für die Erneuerung des Ortskerns. Die Visualisierungen werden jeweils an Informationsanlässen öffentlich präsentiert und stossen laut Projektleiter Tobias Matter stets auf grossen Anklang bei der Bevölkerung. Auch im Rahmen des jüngst lancierten Innosuisse-Projekts soll es in diversen Fallbeispielen öffentliche Veranstaltungen geben.

Quelle: HSLU, 15. September 2002

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